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Herbstschrei

18. Oktober 2008

Sie geht den Weg am Wald entlang. Es bricht
Oktoberlicht durch ihre Schattenlider.
Und von den Bäumen steigt ein Wispern nieder,
das todgeweiht von alten Zeiten spricht.

Es war der Ton, die Art und Weise wie
allenHer log, als seien Worte nur ein Hallen,
um gleich aus jedem Horizont zu fallen;
und mit den wahren Worten fiel auch sie.

Ihr Blick, er senkt sich einen Atemschlag,
sie lächelt fast, auf eine Bruchstückweise;
er war doch früher anders, denkt sie leise
und ballt die Hand, die einst in seiner lag.

Kastanienlaub umwirbelt ihren Geist
und schimmert tausendfach in nackter Bräune.
Der Wind schlägt Haken um die Weidenzäune;
wie gerne wär sie mit ihm fortgereist.

Und als der erste Regen sie umspült,
spürt sie, wie ahnend sich ihr Brustkorb weitet;
dann schreit sie laut, bis sie zu Boden gleitet
und lacht, weil sie sich endlich besser fühlt.

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Unsagbar

4. Juni 2008

Mit jedem Lidschlag ändert sich die Sicht;
und ganz am Ende bleibt nichts zu verstehen.
Die Dinge, wie sie sind, durchschaun wir nicht,
weil wir sie nur mit eignen Augen sehen.

Und doch, wir suchen nach dem einen Sinn,
der uns bestimmt, und glauben, ihn zu finden.
Solange bricht sich Widerschein darin,
bis wir am selben Gegenlicht erblinden.

Was wirklich wichtig ist, ist schwer zu sagen
und was zu sagen ist, ist wirklich schwer.
Weil Worte unser Innerstes nicht tragen
und kleiner machen, spricht sie irgendwer.

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Unlösbar

26. April 2008

Noch bauscht der Himmel sich um uns. Vielleicht
sind wir soweit. Uns bleibt kein Irrweg mehr,
kein Fehler, den wir nicht begangen, der
uns jetzt noch übertrifft. Das Schicksal gleicht

dem Fallwind, der die Äolsharfe streicht.
Vergib mir, was ich ohne dich nicht wär;
nicht ganz, auch nicht Fragment – so ungefähr.
Wir sind verzahnt, in uns vernarbt. Bald weicht

das Zaudern und Gewissheit steigt empor:
Der Regentanz, im Park, der erste Kuss,
der uns so unbedingt zusammenband.

Und sieh: Der Himmel sternt sich überm Fluss.
Er ahnt, dass ich mich selbst mit dir verlor
und zu mir kam, als ich dich wieder fand.

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Hardcore

5. Februar 2008

Sieh her, was ich für dich in Worte kleide,
wie ich mich öffne, anders schaff ich’s nicht.
Denn ich bin Dichter, meine Seele spricht
in zarten Reimen. Lobe, doch vermeide

Kritik, sie drückt mir auf die Eingeweide
und treibt mir gleich die Tränen ins Gesicht.
Ich bin doch, was ich schreibe, mein Gedicht
Identität. Siehst du nicht, wie ich leide?

Hast du was gegen mich? Was soll das heißen,
es sei ausbaufähig? Und was ist Metrik?
Ich schreibe aus dem Bauch, und du kommst her

um, was du nicht verstehst, gleich zu zerreißen.
Dir fehlt der Zugang, du bist miesepetrig,
und voll gemein. Jetzt grüß ich dich nicht mehr!

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Scriptum

15. Dezember 2007

Ich schrei im Halsumdrehen ein Gedicht,
in dem ich Wort um Wort für Wort verschwende,
und jedes Ungefühl darin beende;
doch bleibt es mir Bericht, verinnerlicht,

denn hilflos schweige ich ins Angesicht,
verrate mich, wenn ich mich von ihm wende,
als sei die Gegenwart gleich einer Blende,
in der selbst Urvertrauen jäh zerbricht.

So fall ich doch aus jedem Gleichgewicht,
und schriebe ich mich gänzlich nieder, fände
die Feder keinen Fluchtpunkt dieser Sicht,

denn ich bin Kür im Konterfei der Pflicht,
wo Löschpapier verbaler Flächenbrände
die wahre Liebe nur von fern bespricht.

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Stadtromanze

12. Dezember 2007

Gleich acht! Mein Kopf liegt schief am Badewannenrand;
es ist so still hier drin, du hast nicht angerufen.
Die Frau im Flur verflucht die hohen Kellerstufen;
ich denk an dich und zähl die Kacheln an der Wand.

Wir saßen am Hans-Albers-Platz vor einer Bar
und sprachen über Kant in der Entwicklungsfrage,
verpasste Träume und den Wein der letzten Tage,
der auch mit Schraubverschluss ein wenig korkig war.

Die Stadt um uns war ungefähr und doch vertraut,
dieselben Unbekannten kamen und verschwanden,
in dunklen Gräbernischen, die sie schlafend fanden;
wir waren flüchtig, Suchende in fremder Haut.

Du lächeltest, ich gab dir zaghaft einen Kuss;
von Sehnsucht, Liebe, war kein Sterbenswort zu hören;
(man hebt es auf um es am Ende zu beschwören).
Die Zeit verging, dir wurde kalt; dann kam dein Bus.

 

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An manchen Abenden

22. November 2007

Es dunkelt schon, der Mond wacht königlich
und grinst. Dir fallen gleich die Augen zu,
du gähnst, ich streich die Decke glatt für dich;
das muss ich immer tun, dann lächelst du.

Dein müdes Sein will mit den Träumen zieh’n;
ein letztes Halten noch und angesichts
der Stille sucht dein Blick mich kurz, bis ihn
ein Wimpernschlag hinüber trägt ins Nichts.

Ich mal mir aus wie bunt du es erhellst,
mit Unschuld Welten neu verfugen magst,
dir all die Wunder schaffst, in die du fällst
und so bedingungslos zu glauben wagst.

Dann seh’ ich mich in dir, dasselbe Kind,
das irgendwo in meinen Mauern wohnt.
Es pocht. Ich schrecke hoch. Novemberwind
schlägt an dein Fenster. Oben lacht der Mond.

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Herbstdämmerung

15. November 2007

Im Wendekreis von Wiederkehr und Tod
zieht sie vorbei, und fällt aus den Gesichtern;
Septembersonne, tropft aus Wattetrichtern,
und tupft ins Grau ein letztes Abendrot.

Noch weilt der Kranichtrupp im Flugverbot;
und Damwild röhrt im Schein von Autolichtern;
vor Igel und den andern Laubaufschichtern
versteckt der Häher sein Kastanienbrot.

Das Leben mausert sich; wird Ruhe suchen,
mit Speck im Mantel unter Tage flüchten,
und spürt, es findet seinen Weg zurück.

Es riecht nach Moos und windgegerbten Buchen,
am Waldesrand spaziert jemand ein Stück
und träumt von Glühwein zu kandierten Früchten.

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Zuletzt

1. September 2007

Vielleicht bleibt nichts von uns zurück. Es scheint
als seien Fundamente weg gebrochen
und Worte unter falschem Stolz gesprochen,
wie Wut, die Gleichmut schreit und Sehnsucht meint.

Und es ist wahr, ich habe Angst. Die Spur
führt immer noch zu dir; und Bilder wischen
sich in den Staub; und Liebeslieder zwischen
gepackten Koffern; und dein Blick im Flur.

Die Tage spiegeln sich, im Neonlicht
pulsiert die Zeit – dann bricht sie im Durchschauen,
kippt jene Sicht und hinter müden Brauen
steigt etwas auf, das schon von Morgen spricht.

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Sommer in der Stadt

29. April 2007

Er sitzt nicht da, er kauert auf den Steinen,
das Bier in seiner heimatlosen Hand.
Und eingewickelt in zerfetztes Leinen,
träumt er von Glück und etwas Dosenpfand.

Sie bummelt, schaut verträumt in Fensterläden,
die Sonne brennt und zeichnet sie ins Glas;
auf einem blauen Auge schimmern Fäden,
dann rennt sie heim, weil sie die Zeit vergaß.

Zwei Kinder in den flirrend hohlen Gassen,
im Dunst von Abfall und zu heißem Teer
hat man sie Einbahnstraßen überlassen
und ihre Blicke finden sich nicht mehr.